Das System der Massenmedien prozessiert seine eigene Realität (1) Die Medienkommunikation muß sich, wie alles andere auch, zunehmend an der Profitabilität messen lassen. Einschaltquoten, Anzeigenkunden, Werbung und Infotainment legen nahe, dass sich das Sinnkonstituierende des Systems zugunsten einer Fremdsteuerung auflöst. Alles ist Werbung, wenn es um Kommunikation geht. Foucault ging davon aus, dass die Dinge der Welt nicht per se Bedeutung haben, sondern ihnen Bedeutung erst zugeschrieben wird. Werbung ermöglicht es daher, dass ein Produkt wesentlich mehr ist als sein Nutzwert. Die Identifikation mit einem Produkt, genauer: einer Marke, ermöglicht unabhängig vom Kauf das Eintauchen in einen gewaltigen Horizont von Zeichen, die auf immer wieder andere Zeichen verweisen.
Es gibt kein Jenseits der Medien mehr. Das System der Massenmedien kreiert Ereignisse und schafft dadurch weitere Realitäten zu konstruieren. Werbung, die ursprünglich nur ein Produkt anpreisen sollte, wird selbst zum Produkt und Thema. Dadurch ermöglicht sie der Gesellschaft, sich selbst zu beobachten. Allerdings bewirkt der Umweg über die Massenmedien, dass die Gesellschaft nicht sich, sondern ein Bild von sich betrachtet: »Kommuniziert wird nicht mehr zu den Bedingungen des Menschen, sondern zu denen der jeweiligen Medientechnik«.(2) »Anders als die sozialen Systeme Wirtschaft, Politik, Recht, Kunst etc., die nach je eigenen Prinzipien sich selbst erzeugend arbeiten und sich gegen die Umwelt, also auch die anderen Systeme, abschließen, sind Massenmedien mit allen anderen sozialen Systemen vernetzt. Sie berichten über Wirtschaft, Politik, Recht, Kunst etc«.(3) Für das Gesellschaftssystem aber ist der Solipsismus einzelner Systeme, die nur mehr über die Massenmedien für einander erreichbar sind, gleichbedeutend mit dem Kollabieren des Ganzen. In dem Augenblick, in dem die Herstellung von Sinn und Gemeinsinn – subjektiv gesehen schon immer Unsinn – nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, ist die Grundbedingung einer Gesellschaft nicht mehr erfüllt. Die Gegenwartsgesellschaft löst sich auf, da deren Regeln und Lebensformen von ihren Subjekten nicht mehr aktiv getragen werden. Sie sind für die einzelnen sogar unerträglich geworden, weil dieselbe Gesellschaft das Leben ihrer Mitglieder nur noch als sinn- und ziellosen individualistischen Konkurrenzkampf aller gegen alle organisiert, um sich selbst kreisend und verhaust in der leeren Immanenz medial erzeugter Bild-Sprache.
Die Inszenierung der Realität war schon immer eine Fiktion und gehört wie alle fiktionalen Entwürfe in ein Kunstsystem. Da der Kunstbetrieb, um in Betrieb zu bleiben, nichts so sehr braucht wie den Betrieb, ist der zur Totalität gewordene mediale Konsum davon die neue Bedeutungsebene, auf der sich alles abspielt. »Unsere Lust am Leben bemißt sich daher – wie Gabriel und Lang (2008) bemerkten – an der Quantität und Qualität des Konsums; und unseren Erfolg leiten wir daraus ab, wie gut es uns als Konsumenten geht: »mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Bild«.(4) Glaubwürdigkeitslieferanten legitimieren den Marktwert, der Marktwert bestimmt den Preis, der Preis camoufliert die Macht; und ohne die Behauptung von Autorität – die Sache der Institutionen – ist der Gegenstand von Kunstgenuss schon gar nicht zu haben. »Die durch Sprechakte geschaffenen institutionellen Tatsachen sind der Klebstoff der menschliche Gesellschaften zusammenhält. Wir halten die soziale Welt für so gegeben wie die von uns gemachten Häuser, Autos, Boote. Doch unsere Institutionen sind rein deklarativ, sie sind Produkte mächtiger Phantasie«.(5) Geld ist Geld, weil wir das Papier auf dem es gedruckt ist, für Geld halten. Es ist wie Kunst nur eine Behauptung. »Und nur solange jeder diese Phantasie teilt und ihr vertraut, funktionieren diese Produkte; wird die Phantasie unglaubwürdig, bricht das gesamte System auseinander.«(6) Dann bemerken wir, dass die ganze Welt eigentlich ein Konstrukt ist, vollkommen künstlich, eine Art Gesellschaftsspiel. Was bleibt, ist, dies vorzuführen. Unsinn war schon immer eine vollkommen unterschätzte Qualität. Goodbye and good luck.
Luther Blisset
(1) Matthias Eckoldt, »Medien der Macht/Macht der Medien«, 2007
(2) Matthias Eckoldt, »Medien der Macht/Macht der Medien«, 2007
(3) Jörg Plath rezensiert Matthias Eckoldt, »Medien der Macht/Macht der Medien«
(4) Christian Blümelhuber, »Seriell!«, 2010
(5) Willy Hochkreppel rezensiert John R. Searle, »Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, SZ 2011«
(6) Ebd.